Schluckstörung (Dysphagie)
Eine Dysphagie oder Schluckstörung tritt auf, wenn eine der am Schluckakt beteiligten Strukturen in ihrer Funktion bzw. deren Zusammenwirken beeinträchtigt ist. Somit können alle Erkrankungen und Leiden im Bereich der Mundhöhle und ihrer Begrenzungen, des Rachens, der Speiseröhre und des Mageneingang, daneben v. a. auch neurologische Probleme sowie psychische Störungen eine ursächliche Rolle spielen. Da Schluckstörungen erhebliche Beeinträchtigungen des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens nach sich ziehen, bedürfen sie immer einer Abklärung.
Symptome
Mögliche Symptome einer Schluckstörung sind:
* ein Druck- oder Kloßgefühl im Hals
* Schmerzen beim Schlucken (als sog. „Schluckweh“ meist im Halsbereich angegeben, aber auch hinter dem Brustbein oder im Oberbauch möglich); Würgen während des Schluckakts
* ein Hochwürgen von bereits geschluckter Nahrung (v.a. bei Ösophagusdivertikeln (Ausbuchtungen der Speiseröhre)
* Husten während der Mahlzeit als Ausdruck einer Aspiration (des Übertritts von Nahrung/Flüsigkeiten in die unteren Atemwege)
* im Extremfall eine generelle Unfähigkeit zur Nahrungsaufnahme
* Als Begleitsymptome können eine näselnde Sprache (besonders bei der Schlucklähmung) sowie Heiserkeit auftreten
* Mangelnde Speichelflußkontrolle
Häufigkeit
45 Prozent der über 75 Jährigen leiden an Schluckbeschwerden, wobei sich neurologische, psychiatrische und allgemeine chronische Erkrankungen aufgrund der im Alter oftmals bestehenden Multimorbidität in der Regel gegenseitig negativ beeinflussen.
Hervorzuheben ist, dass sich nicht alle Patienten mit einer Schluckstörung dieser auch bewusst sind. Besonders bei Multipler Sklerose und ALS führt erst eine Aspirationspneumonie zur Abklärung.
Ursachen:
Es gibt vielfältige Gründe für eine Schluckstörung, wobei eine psychische Ursache um so eher angenommen werden kann, je jünger der Patient ist und je wechselnder die Beschwerden sind. Zwar kann schon das Auftreten des Patienten Hinweise auf eine psychische Genese der Probleme geben, prinzipiell ist jedoch jede Schluckstörung sorgfältig abzuklären.
Körperliche Ursachen:
– Verletzungen und Tumore der Mundhöhle, des Rachens und der Speiseröhre, Störungen der motorischen Innervation der am Schluckvorgang beteiligten Muskeln in Mundhöhle und Rachen.
– Exsikkose mit Austrocknung der Mundschleimhäute.
– Entzündungen, siehe Infektionen der Mundhöhle und des Zahnhalteapparates
– Tonsillitis oder Pharyngitis
– Abszesse wie Retrotonsillarabszess
– Zungen- und Mundbodenmuskulatur
Fehlfunktionen bei zahnärztlichen oder kieferorthopädischen Problemen: Fehlbiss, schlecht sitzende Zahnprothesen und Infektionen mit den dabei möglichen, die Muskeln betreffenden funktionellen Störungen.
Neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall oder neurodegenerative Erkrankungen (Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Amyotrophe Lateralsklerose u.a.)
Speiseröhre:
– Achalasie
– Ösophagusdivertikel
– Ösophagitis
– Ösophaguskarzinom
– Ösophagusstenose
Psychische Ursachen:
Der ungestörter Schluckvorgang ermöglicht die lebenserhaltende Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme, aber auch das Erleben von Genuss und Wohlbefinden. Somit kann eine Störung des Schluckakts selbst auf Störungen der psychischen Befindlichkeit hinweisen – nachdem körperliche Ursachen ausgeschlossen wurden. Wenn der Patient meint, „nicht alles schlucken“ (sich nicht alles gefallen lassen) zu können, zwingt dies zur Abklärung der weiteren Lebensumstände.
Diagnostik:
– Beobachtung des Schluckakts (Beweglichkeit des Kehlkopfes / Adamsapfels)
– Überprüfung des Würgreflexes, der Zungenfunktion und aller anderen am Schluckakt beteiligten Muskeln durch Neurologen und/oder Logopäden
– Eine klinische Überprüfung der Schluckfunktion enthält zudem folgende Parameter:
Klinische Anamnese (Krankenakte, Interview mit Betroffenen und Angehörigen)
Deskriptive Beobachtungen (Körperhaltung, Mimik, Atmung)
Überprüfung der orofazialen Beweglichkheit und Sensibilität (sowohl außen wie im Mundraum)
Mundinspektion (Prothesenversorgung, Schleimhäute, Atrophien, Beläge etc.)
Überprüfung der Reflexe (Palatalreflex, Würgereflex, Hustenreflex, Schluckreflex)
Überprüfung der Nahrungsaufnahme (breiig, flüssig, fest und krümelig)
Magenspiegelung
Röntgenuntersuchung:
Gastrografinschluck (wasserlösliches Kontrastmittel)
Videokinematographie des Schluckakts zur funktionellen Beurteilung
Röntgen der Halswirbelsäule
Neurologische Untersuchung
Internistische Untersuchung
Zahnärztliche oder kieferorthopädische Abklärung
HNO-ärztliche Untersuchung
Psychosomatische Abklärung – sofern keine körperliche Ursache gefunden werden konnte oder diese die Beschwerden nicht zur Gänze erklärt.
Komplikationen:
Jeder Schluckakt birgt dabei die Gefahr, sich an Nahrung und Flüssigkeit (auch am eigenen Speichel) zu „verschlucken“, und diese letztlich in tiefere Lungenanteile zu aspirieren. Demzufolge kann sich eine Aspirationspneumonie entwickeln, die bei Schlaganfallpatienten z.B. für 20% der Todesfälle im ersten Erkrankungsjahr verantwortlich ist.
Da im Alter auch das Geschmacks- und Geruchsempfinden beeinträchtigt sind und der Appetit aus meist unbekannten Gründen abhanden gekommen ist, kann eine auch geringfügige Schluckstörung letztlich zur vollständigen Nahrungsverweigerung mit allen Folgeproblemen wie Gewichtsabnahme, Exsikkose und weiterer Reduktion des Allgemeinzustands führen.
Therapie:
Die Behandlung richtet sich nach den Ergebnissen der körperlichen oder psychosomatischen Untersuchungen. Eine NGS (nasogastrale Sonde) oder eine PEG (Sonde mit perkutaner endoskopischer Gastrostomie) kann indiziert sein, wenn eine orale Ernährung nicht möglich ist und der Patient mittels Magensonde ernährt werden muss. Konservative Therapiemöglichkeiten:
Es gibt in jeder Schluckphase (präoral, oral, pharyngeal und ösophageal) therapeutische Interventionsmöglichkeiten durch die Logopädie. Ziele sind zunächst die Wiederherstellung der intraoralen Sensibilität und der Aufbau der Schutzreflexe (Würgreflex, Hustenreflex, Schluckreflex). Das Spektrum reicht von motorischen Übungen einzelner Muskelpartien, Massagen, thermischer Stimulation über Veränderungen der Körperhaltung beim Essen (z .B. durch Änderung der Kopfposition) bis zu Veränderungen der Nahrungskosnsistenzen (z. B. Pürieren der Speisen oder Andicken von Flüssigkeiten). Evidenzbasiert sind die sogenannten Schluckmanöver (z. B. Mendelsohn-Manöver oder Supraglottisches Schlucken), die einen verbesserten Schutz der Atemwege beim Schlucken ermöglichen und somit ein Aspirieren von Nahrung verhindern.